Gesellschaft der Freunde der Klosterruine Sankt Wigbert Göllingen e. V.

Kloster Göllingen - ein Ort mit spannender Geschichte und einem architektonischem Kleinod

Kloster Göllingen wurde auf einem vermutlich schon in germanisch-heidnischer Zeit für kultische Handlungen genutztem Gebiet gegründet. Der Michelsberg, der fast vollkommen  von der Wipper umflossen wird, wurde nach dem heiligen Michael, dem Erzengel, der als Kämpfer gegen das Böse die heidnischen Götter besiegen sollte, benannt. Diese Benennung von Bergen mit ehemaligen heidnischen Heiligtümern nach dem heiligen Michael ist in der Zeit der Christianisierung weit verbreitet. Das berümteste Beispiel hierfür ist der Mont-Saint-Michel in der Normandie. Diese Berge wurden damit christlich besetzt und umgedeutet. Das Christentum hat sich in Thüringen im 8. Jahrhundert durchgesetzt, vermittelt von  Mönchen aus England. Der bekannteste davon war Bonifatius, ein weiterer, der heilige Wigbert, dem die Göllinger Klosterkirche geweiht wurde. Wenig später, zurzeit Karls des Großen um das Jahr 800 herum gab es am Fuße des Michelsberges schon Besitzungen des großen Reichsklosters Hersfeld. Solch ein Grundbesitz geistlicher Institutionen entstand damals durch Stiftungen von ansässigen Adligen, die im Zuge der Christianisierung  den neuen Glauben annahmen und diesen Schritt durch ihre Stiftungen bekräftigen wollten. Damit verbunden war auch der Bau einer ersten  Kirche. Aus dieser Kirche und dem Hersfelder Grundbesitz hat sich um das Jahr 1000 herum Kloster Göllingen als Zweigkloster von Kloster Hersfeld entwickelt.

Wie müssen wir uns Kloster Göllingen um das Jahr 1000 vorstellen? Wahrscheinlich gruppierten sich um eine kleine, schlichte steinerne Kirche ein paar Holzhütten, in denen die Mönche lebten. Wie wir durch Ausgrabungen in den zurückliegenden Jahren wissen, wurde die ursprüngliche Kirche in mehreren Schritten umgebaut und erweitert. Entscheidend zur Entwicklung des Klosters beigetragen hat die uns aus einer Urkunde bekannte Stiftung des späteren heiligen Gunther von Thüringen für das Kloster im Jahr 1005. Gunther, aus dem thüringischen Hochadel stammend, möglicherweise ein Vorfahre der späteren Schwarzburger, hat sich damals entschlossen, Mönch zu werden und hat einen Großteil seines Vermögens und seines Grundbesitzes dem Kloster Göllingen vermacht.

In den darauffolgenden etwa 200 Jahren wurde die Klostergebäude immer weiter ausgebaut und vervollständigt. Um das Jahr 1200 herum könnte Kloster Göllingen so, wie es die Rekonstruktion von Wolfgang Braun zeigt, ausgesehen haben:

Im Mittelpunkt steht nun der etwa zwischen 1150 und 1170 gebaute achteckige Turm der Klosterkirche, der bis heute das Ortsbild von Göllingen prägt.

Der wohl älteste und besterhaltenste Raum der Klosterkirche ist die im Untergeschoss des Turms liegende Krypta. Vier freistehende Säulen mit Würfelkapitellen (sämtlich aus Muschelkalk der Hainleite nahe Göllingen) und Halbsäulen an den Wänden tragen ein Kreuzgratgewölbe in neun gleichen Feldern, wobei die Gurtbögen - größtenteils aus Buntsandstein bestehend - hufeisenförmig ausgebildet sind. Dies verleiht dem romanischen Raum ein einzigartiges graziles Maßwerk, das ihn von anderen Krypten dieser Zeit deutlich unterscheidet. Der Gipsestrich-Boden der Krypta war ursprünglich glatt geschliffen und hatte durch zahlreiche eingebettete Halbedelsteine (z. B. Achate), eine marmorartige Oberfläche.

Der Anlass für die in Deutschland einzigartigen Hufeisenbögen in der Krypta ist unklar. Wahrscheinlich ist, dass der orientalische Einfluss entweder durch Kreuzzüge und Pilgerfahrten ins Heilige Land oder noch wahrscheinlicher über die Routen der verschiedenen Jakobswege vom maurisch beeinflussten Spanien über Frankreich nach Göllingen gekommen ist.

 

Interessant ist auch der immer wieder anders geartete Lichteinfall durch die nur südlich vorhandenen Fenster, mit dem die Säulen und Bögen immer wieder anders zur Geltung kommen. Bei Führungen werden die kleinen Geheimnisse des Kryptaraumes gern gezeigt und erklärt...

Die Baugestalt und Details der Architektur lassen sich Verwandtschaften und Einflüsse aus dem rheinischen oder französisch-spanischen erkennen. Als gesichert gelten kann, dass der oder die Baumeister und Bauhandwerker des Göllinger Klosterturms auch im Umkreis auch in Köln und Umgebung tätig waren, der damals größten Stadt im Gebiet des heutigen Deutschlands und in allen künstlerischen Bereichen führend. 

Der Emporenbau über den Kryptaeingängen bietet einen Platz für weltliche Herrscher; Auf der hohen, ehemals mit drei Kreuzgewölben überdachten Empore sah man von oben ins Kircheninnere, nach Westen schließt sich durch einen hohen Bogen zur Empore geöffnet ein würfelförmiger Raum von je acht Meter Seiten- und Höherlänge an Dieser Saal beeindruckt durch seinen schlichte Gestaltung und ausgewogene Proportionen. Ein Raum, der einen würdigen Rahmen für die Teilnahme einer herausgehobenen Persönlichkeit an Gottesdiensten und Zeremonien bietet. Es ist davon auszugehen, dass diese herausgehobene Persönlichkeit den Turm in Auftrag gegeben und dem Kloster gestiftet hat. Vorerst ein Rätsel bleibt, wer diese Persönlichkeit war und zu welchem Anlass dieser Raum oder auch der gesamte Turm mit seiner besonderen Architektur gebaut wurde. Die hohe Qualität der Bautechnik und der Gestaltung sowie die damit verbundenen Kosten grenzen die Möglichkeiten zur Beantwortung dieser Frage allerdings ein.

Die Obergeschosse des Turms konnten nur über die Wendeltreppe des seitlich der Empore vorhandenen Treppenturmes erreicht werden. Von dieser Treppe ging es über das Gewölbe der Empore zur sich immer noch über dem großen Eingangsbogen zum Turmsaal sich befindenden Pforte zum Zwischengeschoss. Darin befindet sich der Raum, in dem sich der Grundriss vom Quadrat ins Achteck überführt wird. Dies wurde mit vier gewölbeartigen Konstruktionen in den Ecken erreicht, die innen einen Spitzbogen aufweisen. Dies dürfte eine der frühesten Anwendungen des Spitzbogens in Deutschland sein. Allgemein üblich wurde diese Bogenform in Deutschland erst mit der gotischen Baustil ab dem 13. Jahrhundert.

Im obersten Stockwerk des Turms, dort, wo das Glockengeschoss war, ist heute die Aussicht auf die Göllingen umgebende Landschaft zu bewundern. Spätestens hier oben spürt man, dass der Turm einer mittelalterlichen Kirche die Menschen dem Himmel näher bringen sollte. Acht romanische Doppelfenster (Fachausdruck: Biforium) geben den Blick auf Kyffhäuser, Hainleite und Wippertal frei.

Von hier aus ist auch die Struktur des Klostergeländes gut nachzuvollziehen. Der Grundriss der nicht mehr vorhandenen Teile der Klosterkirche ist mit Bruchsteinen nachgezeichnent worden.  Während sich die Gebäude des Klosters, in denen die Mönche lebten, sich südlich der Kirche befanden, wurde nach der Auflösung des Klosters 1606 auf der anderen Seite der Kirche ein großer Gutshof, Domäne genannt, eingerichtet. Aus dieser Zeit sind noch zwei Fachwerkgebäude teilweise erhalten. Der Rest dieses Bereichs ist von den jetzt verfallenden Industriebauten und Baracken der Konservenfabrik zu DDR-Zeiten überbaut worden. Vom Turm aus nicht sichtbar verbirgt sich der Ostabschluss der Klosterkirche hinter einem der noch erhaltenden historischen Gebäude. Die sogenannte Apsis wurde der Klosterkirche um das Jahr 1200 herum angfügt. Die sehr großen und sorgfältig behauenen Steine zeugen auch hier, genauso wie am Turm von einem hohen baukünstlerischen Anspruch. Allerdings fällt auf, dass die hellen Sandsteine eine ganz andere Herkunft haben, als die am Turm verwendeten Muschkalk- und Buntsandsteine.

Im Bereich der ehemaligen Klosterkirche und auf dem gesamten Klostergelände wurden bei Bauarbeiten und archäogischen Grabungen in den letzten Jahrzehnten künstlerisch gestaltete Steine und Stuckelemente aus dem Mittelalter gefunden. Neben Kapitellen und einem Kämpfer aus der Zeit der Romanik wurde auch ein Stück Maßwerk gefunden, das zu einem bereits im gotischen Baustil gestalten Fenster gehört hat.  Ein besonderer Fund sind zwei mit Kreuzen verzierte Grabsteine, die wahrscheinlich aus dem 11. Jahrhundert stammen.

Mit dem Brand im Baurnkrieg am 20. April 2025 begann der Niedergang des Klosters. Im Zusammenhang mit der Reformation wurde das Kloster 1606 aufgelöst. Nach dem 30-jährigen Krieg fielen Kloster und das zum Kloster gehörende Land wegen der Zugehörigkeit von Kloster Göllingen zur hessischen Abtei Hersfeld an die Landgrafschaft Hessen. In dieser hessischen Exklave wurde die oben bereits erwähnte Domäne aufgebaut. Etwa 200 Jahre später wurde das ehemaliges Kloster Teil des Fürstentums Schwarzburg-Rudolstadt. Bereits während des zweiten Weltkriegs wurde auf dem ehemaligen Klostergelände damit begonnen, Konserven zu produzieren. Daraus hat sich dann zu DDR-Zeiten die bis 1995 bestehende Konservenfabrik entwickelt. Für die Konservenproduktion wurden nach und nach die meisten historischen Gebäude der Domäne abgerissen und durch Industriehallen und Behelfsbauten ersetzt. 

Die vorhandenen Reste der mittelalterlichen Klosterkirche sind einzigartig und von erhabenem Wert, der Klosterturm kann als ein Schlüsselwerk der Romanik in Thüringen bezeichnet werden oder einfach als: "Der schönste Turm der Welt"

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