Im Mittelalter waren weibliche Herrscherinnen die Ausnahme. Ende des 10. Jahrhunderts gab es im Gebiet des heutigen Deutschlands jedoch sogar zwei Kaiserinnen auf einmal, die sich die Macht teilten. Die Gründung von Kloster Göllingen ist auch eine Folge des Endes dieser Doppelherrschaft im Jahre 991.
Die beiden Kaiserinnen sind durch den frühen Tod von Kaiser Otto II. im Jahr 982 an die Macht gelangt. Der Sohn von Otto II., Otto III. war zu diesem Zeitpunkt noch ein kleines Kind und nicht in der Lage, die Herrschaft zu übernehmen. Aus dieser Situation heraus wurden die Mutter des kleinen Otto, Theophanu, die als Nichte des byzantinischen Kaisers aus Konstantinopel stammte und schon mit ihrem Mann Kaiser Otto II. gemeinsam regiert hatte, sowie seine Großmutter Adelheid, die Frau von Kaiser Otto dem Großen (Vater von Otto II.) Herrscherinnen. Beherrscht haben sie das damalige römisch-deutsche Reich, das sich weit über die Grenzen des heutigen Deutschlands bis nach Italien und ins heutige Frankreich erstreckte.
Die Historiker sind überwiegend der Meinung, dass sich die beiden Kaiserinnen sich nicht so richtig gut verstanden haben. Tatsächlich lassen sich unterschiedliche Vorlieben erkennen. Für Kloster Göllingen relevant ist dabei, dass Theophanu das von ihr mitgegründete Reichskloster in Memleben im Unstruttal gegenüber der konkurrierenden Reichsabtei Hersfeld in Hessen, dem späteren Mutterkloster von Kloster Göllingen,bevorzugt hat.
Reichsklöster waren große Klöster, die direkt dem König oder Kaiser im Reich unterstanden. Sie waren für die jeweiligen Herrscher wichtige Mittel der Herrschaftsausübung und der Kultivierung des Landes. Hersfeld, die Mutter-Abtei von Kloster Göllingen, hatte seit der Zeit Karls des Großen (um das Jahr 800) eine herausgehobene Stellung unter den Reichsklöstern und herrschte über große Ländereien im Bereich der heutigen Bundesländer Thüringen, Sachsen und Sachsen-Anhalt.
Kaiserin Theophanu die Durchsetzungskräftigere der beiden Kaiserinnen hat veranlasst, das ursprünglich Hersfeld gehörendes Land im östlichen Teil des damals als Sachsen bezeichneten Gebiets Kloster Memleben zugeschlagen wurden, ohne Hersfeld dafür angemessen zu entschädigen. Mitkaiserin Adelheid unterhielt aber stets gute Beziehungen zur Abtei Hersfeld und ihrem Abt Bernhar. Oder andersherum hat es Abt Bernhar verstanden seinen Kontakt und seinen Einfluss auf Adelheid zu nutzen. Nach dem Tod von Theophanu im Jahr 991 hat Adelheid als dann alleinige Herrscherin den Hersfeld zugunsten von Memleben entzogenen Landbesitz wieder an Kloster Hersfeld zurückgegeben. Dadurch hatte sich die wirtschaftliche und machtpolitische Situation der Abtei Hersfeld im Gebiet des heutigen Nordthüringens und südlichen Sachsen-Anhalts auf einmal wieder deutlich verbessert.
Ausdruck der wieder einflussreichen Situation Hersfelds war die Gründung eines Zweigklosters (Priorat) im für die Verwaltung des verstreuten Landbesitzes günstig gelegenen und schon vorher für Hersfeld bedeutsamen Ortes Göllingen. Von diesem Zweigkloster aus konnte der Landbesitz nun intensiver geistlich und wirtschaftlich verwaltet und noch ausgeweitet werden. Nachdem der Enkel von Kaiserin Adelheid, Otto III. 994 die Macht übernommen hatte und unter seinem Nachfolger Kaiser Heinrich II. setzte sich die Bevorzugung der Abtei Hersfeld gegenüber Kloster Memleben fort. Dies gipfelte darin das Kloster Memleben im Jahr 1015 von Kaiser Heinrich II. der Status als Reichsabtei genommen und der Abtei Hersfeld unterstellt wurde. Damit waren Kloster Göllingen und Kloster Memleben gleichrangige Priorate der Abtei Hersfeld.
Diese Zusammenfassung der machtpolitischen Geschehnisse vor der Gründung von Kloster Göllingen beruht auf dem Kapitel „Die Reichsabtei Hersfeld und die Anfänge der Propstei Göllingen“ von Matthias Kälble in dem Sammelband „Das Benediktinerkloster zu Göllingen – Ergebnisse der Forschung 2005 – 2009)“ erschienen 2009 in der Schriftenreihe „Arbeitsheft des Thüringischen Landesamtes für Denkmalpflege und Archäologie“ – Neue Folge 34.